Unsere Ferien
im Sommer 1999
Für meine beiden Kinder
Fabian Hubertus
und
Svenja Marie
im Oktober 1999
Inhaltsverzeichnis
Michelin-Karte Ravioli, der Campingstoff Le Premier Plateau, La Fied Cascades de l'Hérisson (Igelwasserfälle) La Ferme d'Aurochs Kanutour auf dem Ain Am Strand des Lac Chalain La fete du modellisme à Plasne Ultraleichtflugzeuge Clairvaux les Lacs Silke Bei Grünspechts Arbois Wegelagerer McDonalds Sonnenfinsternis Fabians erster Schultag Nachwort GPS-Peilungen
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Donnerstag, 22. Juli 1999
Gegen halb elf sind wir losgefahren, nach dem ich die üblichen allerletzten Kleinigkeiten eingepackt hatte und es mir auch nicht verkneifen konnte, ein paar allerletzte E-mails zu beantworten, wenigstens mit dem Satz: "Bin bis zum 8.8.1999 in Urlaub." Svenja war schon früh am Tag aufgestanden, hatte sich selbständig ihr Frühstück gemacht. Fabian musste wie meistens mit seelischem Beistand und tätiger Mithilfe aus dem Bett gehievt werden. Heute fahren wir also los, in unseren gemeinsamen Urlaub, den wir wegen der gemeinsamen Angina um zwei Tage verschieben mussten. Fabian wird gegen neun munter, die Kinder gehen ihrer neuen Lieblingsbeschäftigung nach, dem Radfahren. Unermüdlich fahren sie die Strasse auf und ab, tauschen ab und an die Räder, freuen sich über ihre neue Mobilität.
Tankstelle, Reifendruck, Diesel, Kilometerstand notieren: 140010. Ein Kollege kommt vorbei, neugierig auf die letzten Trends aus Von der Heydt. In der Metzgerei besorgen wir die Würstchen für abends. Dann endlich kann es losgehen. Abzweigung Schüren, ein Mann mit einer Videokamera steht am Strassenrand - zu spät erkannt, es ist keine normale Videokamera, 50 Km/h sind angesagt, ich habe knapp 70 drauf. Das fängt ja gut an.
Wir kommen nur langsam voran. Das ist der übereinstimmende Eindruck von Fabian und mir und es ist objektiv so. In Phalsbourg machen wir Mittagspause. Es ist für Juli empfindlich kühl, etwa 20 Grad. Der Wind bläst uns mehrmals die Becher von der Bank. An der anderen Bank gehe ich zum Geldautomaten. Bis zur Einführung des Euro-Bargeldes ist das der günstigste Weg, an Bares zu kommen.
Weiter in Richtung Sarrebourg, Baccarat, Epinal. Vor Epinal höre ich in den 14.00 Uhr Nachrichten der Europawelle, dass in Metz ein Gewitter tobt, Minuten später hat es uns eingeholt. Die autobahnähnlich ausgebaute Route Nationale nützt uns wenig, der Regen erlaubt maximal 70 bis 80 Km/h.
Bei Plombiers ein Stau. Wanderbaustelle, Erneuerung der Verschleissschicht mit Rollsplitt. Ich warte geduldig, erkläre den Kindern das Verfahren. Fabian ist begeistert, Svenja sieht einiges nicht. Wie soll sie auch, in ihrem Astronautensitz ist sie zwischen Gepäckstücken eingekeilt, freie Sichtschneisen durch die Sonnenschützer mit den Bugs-Bunny Motiven verstellt.
Eine Friterie am Strassenrand. Ich halte, habe Hunger. Eine grosse Portion für mich, eine kleine mit Ketchup für Svenja, Fabian mag keine Fritten. Sie sind ausgezeichnet. Svenja isst kaum welche, dafür ist sie von der Nummer begeistert, die der Frittenmann gratis dazugibt. Der 50 Francs Schein, mit dem wir bezahlen, verschwindet, taucht an einer anderen Stelle wieder auf, dreimal zählt er uns das Wechselgeld vor, dreimal sind es korrekt 21 Francs und jedesmal liegen nur 11 auf der Theke.
Hinter Besançon gehen die gelegentlichen Anfragen, wann wir endlich am Campingplatz seien, in permanente Anklage über, wir hätten jetzt wirklich am Ziel zu sein. Gegen 18.00 Uhr überfliegen wir Quingey auf der neuen Talbrücke. Hier hatten Fabian und ich zusammen mit Familie Lehnhausen im Sommer 1997 einige entspannende Tage verbracht.
Ein konkretes Ziel haben wir aber nicht. Im Internet habe ich nach Campingplätzen im französischen Jura recherchiert. Ins Auge fiel dabei ein Platz am Lac Chalain. Leider ohne Telefonnummer oder E-mail Angabe. Kurz vor 19.00 Uhr fahren wir dort vor. Wir passieren einen Wachmann im blauen Kampfanzug an einer Kontrollstelle mit drei Schranken, die eher an eine Grenzbefestigung früherer Jahre erinnert, als an eine Freizeitanlage. Der Platz selbst macht einen sehr gepflegten Eindruck, internationales Flair, Personal in einheitlichen T-Shirts. Uns hätten sie nur für zwei Nächte genommen, ab Samstag ist der Platz voll ausgebucht. Ich kann es mir in dieser Situation nicht verkneifen, den jungen Mann an der Rezeption darauf hinzuweisen, dass die ansonsten professionell gestaltete Präsentation im Internet es mir nicht erlaubt hat, diese Tatsache auf andere Art und Weise zur Kenntnis zu nehmen, als den Platz anzufahren und mich dann eine viertel Stunde in die Schlange zu stellen.
Bei der Rückfahrt müssen wir wieder durch "Checkpoint Charlie". Der blaue Kampfanzug rührt sich nicht. Die Schranke bleibt geschlossen. Auf Zurufen erklärt er uns, man müsse nur darauf zufahren. Induktionsschleife, die Schranke öffnet sich. Miraculeux!
Im nächsten Ort finden wir einen Campingplatz. Camping les Mérilles, zwei Sterne. Einen Stellplatz ganz unten. Gebongt! Nur etwa 30 Meter entfernt ein kleiner Sanitärblock, ideal für Svenjas kurze Vorwarnzeiten.
Ich baue das Zelt auf, die Kinder gehen ihrer neuen Lieblingsbeschäftigung nach und erkunden mit den Fahrrädern das Terrain. Ab und an fragen sie nach Abendessen. Ich könnte auch etwas vertragen. Alles geht im Gallopp. Endlich, die Kinder haben gegessen, liegen in ihren Schlafsäcken und sind zufrieden. Ich trinke vor dem Zelt noch ein Parkbräu aus der Kühlbox, gehe kurz aufs Klo und kuschele mich in den Schlafsack. Zähneputzen und Waschen fiel aus. Bei den Kindern und bei mir.
Mehrmals an diesem Tag ist mir der Gedanke gekommen, dass ich mich ständig überfordere, in mehrfacher Hinsicht.
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Freitag, 23. Juli 1999
Der Tag beginnt trübe. Es sieht aus, als könne es jeden Moment anfangen zu regnen und kühl ist es obendrein. Wir frühstücken und wollen danach zu Fuss ins Dorf. Svenja macht schlapp, der Weg ist ihr zu lange. Der Ponyclub macht sie wieder mobil. Der befindet sich unmittelbar neben dem Campingplatz. Leider finden wir niemanden dort, der uns ein Pony hätte vermieten können.
Mittagessen mit Fertiggerichten. Jede kritische Situation eskaliert sofort, wenn die Betroffenen Hunger haben. Diese Regel hat sich bei Jugendgruppen, bei der Bundeswehr, in der Friedensbewegung im Beruf und bei den eigenen Kindern bewahrheitet. Seither ist für mich das Vorhalten nahrhafter Dinge zur bewährten Krisenbewältigung und -Prävention geworden.
Nach dem Mittagessen brechen wir zu einer Radtour auf. Die Gegend habe ich vorher bereits erkundet. Kritisch sind die wenigen hundert Meter bis zum Beginn der Forststrasse. Der Seitenstreifen ist nicht durchgehend und auf Kommando müssen die Kinder absteigen, schieben und warten, bis ich die Strasse überquert habe und ihnen von überschaubarer Stelle zurufen kann, wenn die Strecke bis zum Horizont autofrei ist. Svenja und Fabian fahren voran und sie fahren gut. Das Bild hat etwas symbolisches.
Nach der Dusche am Abend ein entspanntes Abendessen, Vorlesemarathon und dann packe ich den Kleinen Schwarzen, einen Compaq LTE386s/20 aus und greife in die Tasten, bis mir die Nacht zu kalt wird.
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Samstag, 24. Juli 1999
Das Wetter hat sich deutlich geändert. Es ist wieder wolkenlos und sommerlich warm. Nach dem Frühstück gehen wir zum Pony-Club. Fabian radelt nebenher. Am Vortag habe ich ein Pony reservieren lassen. Für Svenja, Fabian wollte nicht. Die Chefin probiert ihr eine Reitbombe an und dann zeigt sie uns Castor, die Grösse ist angemessen. Ich nehme den Führstrick und wir marschieren los. Fabian prescht auf dem Rad vorbei, was Castor mental noch ganz gut verkraftet. Die neugierigen jungen Stiere, die wie auf Kommando an den Koppelzaun kommen, sind zuviel für ihn. Er scheut, buckelt, geht rückwärts, bis er mit der Hinterhand am gegenüberliegenden Zaun steht. Svenja hält sich wacker und ich greife sie vom Pferd. Castor hat sich mit der Vorderhand im Zügel verfangen, ich löse die Schnalle an der Trense und wir treten den geordneten Rückzug an. Svenja auf Castors Rücken. Selbstverständlich.
Mittags gibt es auf vielfachen Wunsch eines einzelnen Kindes Ravioli. Ravioli gehören zum Camping heute einfach dazu.
Den Nachmittag faulenzen wir an einer Flussbiegung, sonnen uns. Svenja schläft in meinen Armen.
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Sonntag, 25. Juli 1999
Der Tag beginnt langsam. Das Frühstück zieht sich bis um zehn und die Kinder haben keine Lust, etwas zu unternehmen. Mein Vorschlag, zu den Wasserfällen zu fahren, stösst auf mässige Begeisterung. Immerhin, sie ziehen mit. Ein Blick auf die Michelin-Karte und bereits am Ortsausgang zeigt sich eine gewisse Diskrepanz zwischen Karte und Beschilderung. Ich entscheide zugunsten der Beschilderung und wir werden zielsicher zum gebührenpflichtigen Parkplatz am Ende der Sackgasse geleitet, dem Ausgangspunkt des Wanderweges. Es sind nicht die 25 Francs, es ist das Prinzip. In solchen Fällen werde ich leicht grundsätzlich und überhaupt und der Wenderadius meines Peugeot 205 erlaubt die Umkehr in einem Zug. Die Strecke laut Karte bringt uns auch zu einem Aussichtspunkt mit der fast obligatorischen Buvette. Die Wirtin erklärt uns den Fussweg und eine Handvoll Prospekte über allerlei Interessantes in der Gegend gibt es obendrein. Nach dem Tageseis haben die Kinder keine Lust mehr auf Wandern und wir fahren zum Campingplatz.
Am Nachmittag lockt ein ländliches Grossereignis, eine Art Bauernmarkt in La Fied. Die Produzenten aus der Gegend "Le Premier Plateau" haben sich zusammengetan um ihre Erzeugnisse aus der Masse der EU Agrarprodukte herauszuheben und regional gezielt zu vermarkten. Tierschau, Landmaschinenschau, Jahrmarkt, Kunstobjekte aus Bauernhofschrott, alles was dazugehört. Die Kinder sind sich einig, da wollen sie hin. Und dort war wirklich etwas los. Neben den rotbunten, prämierten Rindern auf der Wiese eine fliegend aufgebaute Scheune, Bierzeltgarnituren, die Tische liebevoll mit Blumen geschmückt. Ich liebäugele mit dem Gedanken, mir hier einen kleinen Arbois munden zu lassen, während die Kinder sich mit den Rindern und dem anderen Kleinvieh beschäftigen. Fabian ist dagegen. Im Blick des zweiten Jungstieres von rechts erkennt er böse Absichten und ich muss an seiner Seite bleiben, während Svenja den Tieren Heu verfüttert. Da rollt eine Kutsche heran, gezogen von einem belgischen Kaltblut. Der Mann auf dem Bock kann auf Richtung und Geschwindigkeit des Pferdes offenbar keinen rechten Einfluss nehmen, die Kutsche fährt knapp an der Scheune vorbei und reisst dabei einen Eckpfeiler um. Das Gebäude stürzt wie in Zeitlupe ein. Niemand nimmt Schaden, niemand regt sich auf und ich blicke dem zweiten Jungstier von rechts dankbar in die Augen. Einige Besucher haben sogar ihre Getränke gerettet und prosten sich auf der Wiese stehend zu.
Neben dem Kindergarten kann man Bogenschiessen. Nicht mit irgendwelchen Flitzebogen, auf einem Gestell liegen verschieden grosse Bogen und auch ein Sortiment für Linkshänder ist dabei. Fabian ist als Erster dran. Dabei muss er erkennen, dass Bogenschiessen gar nicht so einfach ist. Der Instruktor zeigt ihm Körperhaltung, Fusstellung und Visiereinrichtung. Der erste Pfeil geht ziemlich daneben, die weiteren treffen die Scheibe. Svenja, die ja bereits einen Vorteil durch das Zuschauen hat, tut sich leichter, allerdings fehlen ihr die Körperkräfte um den Bogen zu spannen. Immerhin bekommt sie einen Pfeil auf die Scheibe. Danach diskutieren sie angeregt, wessen Leistung besser war.
Spanndend war es auch, der Ziehung der Tombolagewinner zuzuhören. Wir haben keinen Spieltraktor gewonnen, keinen Rasierapparat und auch keinen Crédit Agricole Rucksack.
An diesem Abend lagen sie ohne Widerrede in ihren Schlafsäcken und rührten sich nicht mehr.
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Montag, 26. Juli 1999
Der Tag verspricht heiss zu werden. Beim Frühstück zeichnet sich ein gewisser Mangel an Kinderlieblingsmüslisorten ab. Wir beschliessen, zum Einkaufen nach Lons Le Saunier zu fahren. Wenn man sich einer beliebigen, französischen Stadt nähert, so trifft man fast zuverlässig zunächst auf ein Industriegebiet, dann auf Autohäuser, dann auf Tankstellen und als letztes vor der eigentlichen Stadt auf imposante Supermärkte mit noch imposanteren Parkplätzen. In Lons ist es genau so. Wir decken uns ein und die Kinder diskutieren ausgiebig die Vor- und Nachteile diverser Müsli- und Raviolisorten. Eine Tankfüllung Diesel rundet die Einkäufe ab. Für Besichtigungen ist es uns allen zu heiss, wir fahren die 25 Km zurück zum Campingplatz.
Auf Ravioli aus der Dose habe ich keine Lust und wir suchen eines der Restaurants im Dorf auf. Das Ambiente stimmt, die Preise und das Angebot. Nur Energie scheint knapp zu sein. Weder mein Schweinekotelett, noch Fabians Hacksteak sind durchgebraten. Die Pommes Frites jedenfalls aus in Schale vorgekochten Kartoffeln waren vorzüglich.
Svenja ist müde, kann aber keinen Schlaf finden und wir fahren mit dem Auto zum Badeplatz. Der knappe Kilometer lohnt eigentlich das Vorglühen nicht aber das müde Kind zu Fuss dorthinzubewegen ist mir ebenso zu stressig wie es mir zu gefährlich scheint, Svenja aufs Rad zu setzen. Die Ecke ist jedenfalls entspannend. Ein Mühlteich des wenig tiefer liegenden Sägewerkes, kaltes, fliessendes Wasser das Lebensgeister weckt, die Kinder schwimmen, nur schade, dass Svenja immer ziemlich schnell auskühlt.
Gegen sieben sind wir zurück auf dem Platz, Abendessen nach Landessitte mit Baguette und Käse, eine Melone als Nachtisch.
Leider klingt der Abend nicht so harmonisch aus. Vor dem Zubettgehen sollen die Kinder noch aufs Klo. Sie rennen vor und ich finde Svenja auf einer deckellosen, verpinkelten Toilette sitzend. Ich erkläre, dass sie das nicht tun soll, dass ich sie jetzt komplett waschen muss, da streicht sie mit den Händen über den verpinkelten Klorand und anschliessend mir durch die Haare. Als Fabian dann ihre Sandalen auf den Esstisch stellt, platze ich. Svenja schläft weinend ein, Erklärungsversuche kommen nicht an.
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Dienstag, 27. Juli 1999
Gegen 7.30 Uhr weckt mich Svenja, sie muss aufs Klo. Die Sache von gestern abend hat sie scheinbar vollkommen vergessen. Alles geht irgendwie reibungsloser als am Vortag. Svenja frühstückt mit mir, während Fabian sich noch im Schlafsack räkelt.
Später fahren wir zu den Cascades de l'Hérisson, den Igelwasserfällen. Es lohnt sich. Keine der untereinander liegenden Kaskaden ist für sich besonders spektakulär. Zusammen bilden sie eine wunderbare Landschaft, Juragestein, Schluchtwald aus Esche, Erle und Tanne, Brunnenmoose, natürliche Becken, die zum durchwaten einladen und an einigen Stellen kann man sich von Naturduschen berieseln lassen.
Svenja muss in immer kürzeren Abständen Pipi, ich befürchte, das ganze Naturerlebnis hat sie etwas unterkühlt. Auf dem Rückweg bleibt sie von sich aus an der Hand und schläft im Auto sofort ein.
Nachmittags radeln wir zum Badeplatz, was auch immer besser funktioniert. Es ist niemand da ausser uns und wir geniessen alle drei das Wasser, die Wiese und die Sonne. Svenja scheint kleine blaue Schmetterlinge anzuziehen. Sie braucht sich nur ruhig auf die Wiese zu stellen und gleich sitzen mehrere Exemplare auf ihr.
Abends spielen Fabian und Svenja mit den Kindern der schweizer Zeltnachbarn. Neben der Rezeption tobt das, was laut Aushang ein Sangriafest sein soll. Aus der Entfernung wäre der Ausdruck "Oldie-Disco" eher angebracht. Meine Gedanken gehen zurück in die siebziger Jahre, als ich mit "Aline, que tu reviennes!" den Gebrauch des Subjonctifs in der indirekten Rede lernte und bei "Capri, c'est fini!" vor dem röhrenbestückten Verstärker Marke Braun dahinschmolz. Hochgehen ist - selbst mit Funkverbindung - nicht drin, da Fabian entdeckt hat, wie gut eiskaltes Brunnenwasser schmeckt und sich eine nicht näher bestimmbare Menge davon gegönnt hat, wovon ihm jetzt übel ist und Svenja ihr Pipiproblem nicht im Griff hat, wie ich vermute. Vaterfreunden. Sie schlafen, endlich, es ist 22.40 Uhr. Eine schwüle Nacht, aus Richtung Genf leuchtet ein heftiges Gewitter in den Nachthimmel, Donner hört man nicht.
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Mittwoch, 28. Juli 1999
Ein leichter Regen weckt uns und pünktlich zum Frühstück hört der Regen auf. Es ist immer noch schwül. Das Rettungsseil, eigentlich zur Absicherung der Kinder bei Kanutouren mitgenommen, erweist sich als Renner bei den Spielzeugen. Tauziehen, Seilspringen, Abschleppen... so ein Ding hat sonst keiner.
Wir wollen eine kleine Radtour über die Felder machen. Svenja ist arg schlapp, ihr fehlt der Schlaf vom Abend vorher. An der Metzgerei kaufen wir kalte Hähnchenschlegel, zwei Weisswürste für Svenja, die kein Hähnchen isst und ein Brot. Beim Mittagessen stellt sich heraus, dass Fabian kein kaltes Hähnchen mag, dass er davon ausgegangen ist, dass ich es ihm irgendwie erwärme. Svenja lässt sich mit Mühe dazu erweichen, Fabian ein halbes Würstchen abzugeben. Der Resthunger wird mit "La vache qui rit" bekämpft.
Am Nachmittag fahren wir zum Auerochsenhof. In öffentlicher Trägerschaft werden hier nachgezüchtete Auerochsen gezeigt, ebenso amerikanische Bisons und schottische Hochlandrinder, letztere liebt Fabian besonders. Die Frau am Empfang erklärt freundlich und individuell, was es zu sehen gibt. Svenja hat es der Streichelbauernhof angetan. Auf Stegen kann man verschiedene Formen der Sukzession und der Landnutzung erwandern. (Das EU Förderprogramm "Ländlicher Raum" lässt grüssen!) Ponyreiten wird angeboten und schliesslich kann man sich an einem Computer interaktiv im WWW-Stil allerlei interessantes rund um den Auerochsenhof am Bildschirm anschauen. All das wird aber bei weitem übertroffen von der Fütterung der Jungtiere. Drei Frauen zeigen den Kindern, was die einzelnen Viecher fressen und anschliessend geht es in die Praxis. Fabian füttert als erstes die Schweine, die bei den anderen Kindern nicht gerade hoch im Kurs stehen. Svenja kümmert sich um die Pferde und darf auch das Milchpulver für die Kälber anrühren. Als die letzte Milchflasche geleert ist, bricht bei ihr die Krise aus. Wir fahren in ein Restaurant, essen Crêpes, was Svenja wieder mit der Welt versöhnt.
An diesem Abend kriechen die Kinder von alleine in ihre Schlafsäcke und sind sofort eingeschlafen.
zurück zum AnfangDonnerstag, 29. Juli 1999
Nach dem Frühstück spielen Fabian und Svenja mit den schweizer Nachbarn. Deren Eltern packen, für sie sind die Ferien vorbei. Wir fahren zum Badeplatz. Trotz der geringen Entfernung hat sich das Auto dafür bewährt. Wieder sind wir alleine dort, Fabian und Svenja haben keine Angst vor dem offenen Gewässer, lassen aber eine gesunde Vorsicht walten. Sie gehen nur in den Fluss, wenn ich auch im Wasser bin. Sie spekulieren, dass es die Libellen genauso machen. Die fliegen nämlich auch zu zweit - aus Sicherheitsgründen. Fast vergessen wir die Zeit an dieser schönen Stelle, gegen eins schaue ich auf die Uhr und treibe zum Aufbruch, um zwei Uhr haben wir eine Kanufahrt gebucht.
Die erste Erkenntnis kommt vor dem Lospaddeln. Kanutouren erfordern mindestens zwei erwachsene Personen, da ich alleine das Boot nur mit ziemlicher Mühe in das Wasser hinein- und herausbewegen kann. Mit uns sind einige niederländische Familien unterwegs, wir helfen uns gegenseitig. Beim Zuwasserlassen des Kanus mache ich ein Foto von den Kindern, sage ihnen, in Anbetracht des vor ihnen liegenden, wilden Gewässers müssten sie recht ängstlich schauen.
Der Fluss heisst Ain und fliesst flach und ruhig. Für meine Begriffe zu ruhig, denn selbst flussabwärts braucht es Muskelkraft um überhaupt vorwärts zu kommen. Die Ufervegetation, vorwiegend Weiden, macht einen naturnahen Eindruck. Blühender Dost und weiter oben an den Uferhängen die Kanadische Goldrute zeigen, dass der August fast gekommen ist. Nach einigen Kilometern nimmt die Fliessgeschwindigkeit noch mehr ab. Wir sind an der Mündung des Hérisson, oberhalb der Staustufen von Blye. Die Ufer sind hinter dem Gürtel aus Schilf und Schachtelhalm nicht mehr auszumachen, mehrere Arme verzweigen sich und es erinnert ein wenig an den Film "African Queen". Wir paddeln durch Felder von Wasserpflanzen, ich zeige den Kindern die Sauerstoffblasen, die aufsteigen, wenn man an den Wasserpflanzen wackelt. Die Vorkommen von Fadenalgen mehren sich, ein Zeichen, dass das Gewässer überdüngt ist. Wir sehen Möven und Graureiher.
Dann haben wir die Staustufe von Blye erreicht und folgen dem orangefarbigen Pfeil. Hier müssen wir wieder auf Hilfe warten, es gibt keine Wasserrutsche, sondern nur den Weg über den Damm. Das Maschinenhaus sieht aus, als hätte es den grössten Teil des Jahrhunderts dort gestanden. Unterhalb wirkt das Gewässer vollkommen verwandelt. Es ist wieder ein Fluss, wir fahren durch dichte Rasen blühender Wasserpflanzen, Angler stehen im Wasser. Die Kinder rufen immer wieder "Attention, ein Kanu!" Auch die Ufer sehen anders aus. Die Schichten des Jura sind einem Konglomerat gewichen, Viehweiden reichen bis an den Fluss, die Landschaft ist flacher. Der Ain fliesst noch ein paar mal etwas angeregter - die Bezeichnung Stromschnellen wäre übertrieben - dann sind wir am Pont de Poitte bei Clairvaux-Les-Lacs, dem Endpunkt unserer 12 Km langen Kanutour angekommen. Die Mitarbeiterin des Kanuverleihs "Les magiciens d'eau" begrüsst uns mit einem Eistee. Die Kinder essen ein Eis, dann bringt uns der Kleinbus zurück zum Campingplatz. Auf der Fahrt wirkt Svenja bereits erschöpft, beim Aussteigen fällt sie aus dem Bus und knickt sich einen Zehennagel um.
Ein deftiges Abendessen mit ihren Lieblingswürstchen aus der örtlichen Metzgerei bringt die Kinder wieder zu Kräften. Ich selbst trinke mehrere Biere, taste meine Oberarme und denke an die Zeiten, als noch der Koks in den Keller geschaufelt werden musste.
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Freitag, 30. Juli 1999
Wir nehmen den Service des Campingplatzes in Anspruch und lassen uns im Kleinbus zum Strand am Lac Chalain bringen. Der ist 1992 angelegt worden und in einem mustergültigen Zustand. Die Spuren im hier geologisch ortsfremden Sand zeigen, dass der Strand über Nacht maschinell gereinigt worden ist. Selbst die Toiletten sind frisch geputzt. Wer im eigenen Auto hierher kommt, der trägt über die Parkgebühr von 22 Francs zur Finanzierung der Anlage bei.
Fabian und Svenja kramen sofort ihre Schwimmflügel aus der Tasche und vergnügen sich im überwachten und abgegrenzten Nichtschwimmergebiet. Dann kommen sie zu den Badematten und tauschen die nassen Badesachen mit ihren trockenen T-Shirts, so, als wäre das ein für sie absolut alltäglicher Vorgang. Fabian baut mit seiner Schaufel Kanäle am Wasser, Svenja räkelt sich neben mir auf der Strandmatte. Nach dem obligatorischen Tageseis zeigen sie mir ihre Schwimmkünste. Svenja, mit Schwimmflügeln, zieht munter um mich ihre Kreise, ohne mit den Füssen auf den Boden zu kommen. Fabian, ohne Schwimmflügel, schwimmt und taucht bereits etliche Meter und das mit ersichtlichem Vergnügen. Der Schwimmkurs zeigt deutlich sichtbare Früchte. Als sie sich an Land aufwärmen, schwimme ich hinaus, lasse mich wohl eine halbe Stunde vom türkisfarbenen Wasser umspülen und schiele nur ab und zu auf die markanten Sonnenkäppies meiner Kinder. Es ist wirklich entspannend hier.
Zurück auf dem Campingplatz koche ich mir einen Kaffee, für die Kinder gibt es den Kinderfrankreichferienglücksbotenstoff: Orangina.
Am Nachmittag will ich die Gegend etwas vermessen. Svenja klettert in ihren Kindersitz, sie ist müde und will schlafen. Fabian sitzt im Auto neben mir, den Computer auf den Knien. Wir fahren zum Badeplatz und zum Auerochsenhof, danach zum Startplatz der Kanutouren. Auf Kommando drückt er die Leertaste und satellitengestützt wird unsere Position aufgezeichnet um sie später genau in eine Karte einzeichnen zu können.
Ich fahre auch die ULM-Basis an. Die Ultraleichten Motorflugzeuge kreisen immer wieder über der Gegend und ich erfahre, dass man hier Rundflüge in so einem motorisierten Drachen buchen kann. Das tue ich dann auch, Montag, 18 Uhr ist mein Termin.
Auf dem Campingplatz soll es um fünf Uhr Kinderspiele geben, jeux d'enfants steht auf dem Plan. Wir versuchen mitzumachen, aber es handelt sich um eine Art Schnitzeljagd, bei der auch Fragen zur Region beantwortet werden sollen und das überfordert Fabian und Svenja ebenso, wie es auch schwierig ist, ständig hinterherzulaufen und simultan zu übersetzen. Die Kinder klinken sich aus. Svenja steigt aufs Rad, fährt in forciertem Tempo auf der linken Seite des Weges, biegt in den Hauptringweg des Campingplatzes ein ohne auch nur ansatzweise auf eventuellen Querverkehr zu achten und fällt hin. Eine leichte Schürfwunde am Kinn ist sichtbar, ich nehme sie auf den Arm, tröste sie und nach einer Weile schicke ich sie los, um mir auf einem Nummernschild eine Null zu zeigen. Das schafft sie spielend, ohne sichtbare Ausfälle.
Wir haben neue Nachbarn bekommen. Ein Vater mit seiner dreieinhalbjährigen Tochter. Sie sind Franzosen, das Mädchen heisst Lucille. Svenja und Lucille verstehen sich auf Anhieb, trotz der Sprachbarriere. Vor dem Schlafengehen erzählt mir Svenja, dass ihr etwas fehlt: die Mama. Sie hat Heimweh. Sie erzählt mir auch, dass sie neulich in der Nähe der Wasserfälle ein Dachskind gesehen hat. Das wird ihr über das Heimweh hinweghelfen, wir müssen es nur wiederfinden. Morgen werden wir also wieder zu den Wasserfällen fahren.
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Samstag, 31. Juli 1999
Im Dorf decken wir uns mit Brot ein. In der neuen Käserei am Ortsrand kaufe ich Käse. Comté für Svenja und mich, einen mittelalten Ziegenkäse für Fabian. Dann fahren wir wieder zu den Wasserfällen. Die Kinder haben darauf bestanden, ihre eigenen Rucksäcke mitzunehmen. Der Abstieg vom Parkplatz zieht sich in die Länge. Ein Kind an jeder Hand, Svenja klagt ständig über Steine im Schuh, kommen wir langsam vorwärts. Auch an schmalen Stellen wollen die beiden nicht von meiner Hand lassen. Fabian möchte trotzdem zum Fuss der unteren Wasserfälle absteigen, wo er einen besonders schönen Picknickplatz erwartet. Ich entscheide autoritär, wo gepicknickt wird: oberhalb. Svenja mag keinen Käse und lässt sich ihr Brot mit Apfelscheiben belegen. Fabian probiert beide Käsesorten und ist begeistert. Die Nahrungsaufnahme verwandelt meine beiden Kinder. Sie beginnen am Wasser zu spielen. Neben uns löffeln zwei Französinnen, eine mit kirschroten Haaren, ihren Kartoffelsalat aus Plastikdosen. Da kommt ein Paar, jeder einen nassen Hund an der Leine, und postiert sich direkt neben uns. Fabian ist etwas ängstlich, mich ärgert es. Wo vier Leute sitzen und essen, erscheint man nicht mit zwei nassen Kötern, die sich jeden Moment schütteln können. Die Kirschrote rückt ein Stück an den Rand des Sitzsteines und bietet an, die Kinder zwischen uns zu nehmen. Fabian willigt ein, Svenja bevorzugt Papas Schoss. Wir sind uns einig. Die Stelle ist traumhaft.
Unterhalb eines kleinen Wasserfalles ist ein natürliches Becken, tief genug um darin zu schwimmen. Mir fällt ein Werbespot für Seife ein, den ich vor Jahrzehnten gesehen habe. "Mit der wilden Frische der Limonen" hiess es damals und eine Frau im nassen T-Shirt stand unter dem Wasserfall. Ich habe keine Badesachen dabei. Andere Leute kommen vorbei, schwimmen und duschen unter dem Wasserfall. Da wage ich es auch, lasse mich in Unterhosen in das Becken gleiten und schwimme unter den Wasserfall. Die Wassertemperatur verdient wirklich das Prädikat "wilde Frische" und mehr als einige Minuten bleibe ich auch am Stück nicht im Wasser. Svenja sieht müde und zufrieden aus und spielt im flachen Wasser mit ihren Spritztieren. Fabian hat gleich alle Kleider abgelegt. Ein etwa zwei Meter langes Holzscheit treibt im Wasser. Er schwimmt darauf zu, klammert sich daran und zieht es an Land. Dabei strahlt er eine kaum beschreibliche Freude aus. Dass er so geschickt im tiefen Wasser ist, hätte ich nicht gedacht.
An der nächsten Buvette nehmen wir unser Tageseis und finden es praktisch, in der Nähe soviel Wasser zu haben. Svenja hat sich heftig mit der klebrigen Masse verkleckert und muss sich einer entsprechenden Reinigungsprozedur unterziehen. Der Aufstieg ist viel problemloser als der Abstieg und auch der kleine Dachs erscheint ihr wieder. Er war aber gleich wieder weg, denn er tröstet nur traurige Kinder. Im Auto schläft Svenja sofort ein. Das Wetter ist schwül-warm.
Am Nachmittag wollten wir eigentlich zu einem Holzhauerfest, aber nachdem ich den Ort auf der Michelin-Karte endlich gefunden habe, sind mir rund 40 Km Luftlinie entschieden zu weit. In der Metzgerei kaufe ich die Lieblingsweisswürste der Kinder und in Verbindung mit Baguette, einer Melone und einer Tüte Fertigrisotto bereite ich das Abendessen.
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Sonntag, 1. August 1999
In der Nacht gegen 4 Uhr hören wir Lucille weinen, ihr Papa lässt kurz darauf das Auto an. Am Morgen erfahren wir, dass sie nachts Atemnot hatte und er sie zum Notdienst bringen wollte. Das Ansinnen endete vor der abgeschlossenen Schranke. Von der Telefonzelle aus konnte zum Glück ein Arzt erreicht werden, der zum Campingplatz kam. Am späten Vormittag war Lucille wieder wohlauf. Fabian hatte mich vor Tagen bereits darauf aufmerksam gemacht, dass die nachts abgeschlossene Schranke Rettungsfahrzeuge blockiert. Ich inspiziere die Schranke und stelle beruhigt fest, dass sie meinem Bordwerkzeug höchstens zwei Minuten Widerstand geleistet hätte. Lucille und ihr Papa reisen ab.
Wir wollen eine Radtour machen. Durch das Tal des Hérisson, abseits von Autostrassen. Ich lade die Räder auf das Autodach, packe Proviant und Badesachen ein und die Kinder dazu. Der Weg, den ich auf der Karte dazu ausgesucht habe, wird zuerst von zwei wütenden Hofhunden verteidigt und danach so schlecht, dass ich mich entscheide umzukehren. Wir fahren im Auto ein Stück auf der parallel verlaufenden, öffentlichen Strasse, wo aber reger Verkehr herrscht. Gegen Ende zweigt ein Forstweg ab. Ich parke, lade die Räder ab und wir radeln los. Nach wenigen Metern beginnt Svenja zu jammern und etwa dreihundert Meter weiter machen wir erst mal Mittagspause. Danach ist Fabian so gestärkt, dass er übermütig wird und hin fällt. Svenja ist auch wesentlich besserer Laune, möchte aber keine Radtour mehr machen. Also kommen die Räder wieder auf das Autodach und wir besichtigen einen Forellenzuchtbetrieb. Regenbogenforellen aller Grössen in Zuchtbecken. Ganz viele. In einigen Becken tanzen sie Ringelreihen. Absolut nichts spektakuläres, aber Fabian und Svenja gefällt es.
Am Nachmittag fahren wir zu einem Modellbaufest in Plasne, ein Dorf weiter wo wir vor einer Woche auf dem Landwirtschaftsfest waren. Auch hier eine professionelle Organisation. Stoppelfelder sind als Parkplätze für mehrere tausend Autos hergerichtet. Die Anfahrt ist hervorragend beschildert, eine hochwertige Beschallungsanlage installiert. Die Bewohner des 2500 Einwohner zählenden Ortes haben alles organisiert und das bereits zum neunzehnten Mal. Wir sehen vier Modellhubschrauber und andere Flugmodelle in Aktion, ein Modellautorennen, ferngelenkte Boote auf einem Teich, funktionierende Modelle von Bau- und landwirtschaftlichen Maschinen, Puppenstuben mit bewegten Puppen, Modelleisenbahnen, Modelle von Bauernhöfen, Auto- und Motorradmodelle. Svenja nimmt an einem Ballonwettbewerb teil, die Ballons werden auf Kommando alle zusammen losgelassen. Beim Angelspiel zieht Fabian ein Päckchen mit einem Modell eines Landungsbootes samt einer Handvoll Spielsoldaten aus der Kiste, Svenja ergattert ein Modell-Kaffeeservice. Auch richtige, grosse Autos sind zu sehen. Dauphine und Renault Floride wecken bei mir Kindheitserinnerungen, Fabian steht vor einem Citroen Baujahr 1930 und bewundert die Lenkmechanik ebenso, wie die imposante Kühlerfigur. Überhaupt interessiert er sich in der letzten Zeit sehr für Autos, erkennt die grossen Marken und ganz besonders steht er auf Renault.
Grosse Feuer brennen in langen Trögen, der Schweinegrill. Abends gibt es ein Abendessen mit Rohkost, Koteletts, Pommes frites, Käse und Dessert. Wir scheinen die einzigen Touristen zu sein. Das Dorf feiert, der Parkplatz ist fast leer. Der Rotwein aus dem Jura geht genauso flaschenweise über die Theke, wie der Mousseux aus der Region mit der typisch goldgelben Farbe. Eine Maus schaut neben unserem Platz verdutzt aus ihrem Loch, Svenja teilt ihren Comté mit ihr. Andere Kinder stopfen Brot in das Mauseloch. Uns allen hat es hier sehr gut gefallen.
Die Kinder liegen in ihren Schlafsäcken, bei Fabian steckt noch ein Landungsboot mit dabei, die Grillen zirpen, der Himmel ist sternenklar.
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Montag, 2. August 1999
Als einzige fahren wir mit dem 11 Uhr Bus zum Strand. Fabians Landungsboot hat aus einem Teil unserer Wäscheleine eine Reling erhalten und es sieht dem Einsatzboot des Bademeisters wirklich ähnlich. Er spielt ausdauernd damit, Svenja buddelt in der Zwischenzeit ein grosses Loch, ich döse vor mich hin. Der Strand am Lac de Chalain ist halt so entspannend. Irgendwann necken sie an mir, doch endlich auf den See hinauszuschwimmen. Sonst war es meist umgekehrt, denn wenn ich rausschwimme, dürfen sie nicht ins Wasser. Dann zeigen sie mir ihre Schwimmkünste. Fabian, ohne Schwimmflügel, verschätzt sich, schwimmt zu mir ins für ihn Bodenlose. Ich nehme ihn auf den Arm und wir tanzen im Wasser, freuen uns, dass er bald richtig schwimmen wird. Dann tanze ich mit Svenja, wir spielen Familienschwimmen. Der grosse Papa-Fisch bringt seiner Kleinen das Schwimmen bei.
Nachmittags fahren wir beim Kanu-Verleih vorbei, buchen für Dienstag eine Kanutour. Svenja ist im Auto eingeschlafen, das Schwimmen im Fluss fällt deswegen aus. Schliesslich wollen wir pünktlich um 18.00 Uhr am ULM-Flugplatz sein.
Die Frau, die mir einige Tage zuvor den Termin gegeben hat, informiert uns, dass es leider eine dreiviertel Stunde später wird. Fabian und Svenja wollen dennoch am Flugplatz bleiben. Wir schauen uns die Fluggeräte im Hangar an, es sind allesamt Ultraleichtflugzeuge. Die Frau bietet an, auf Fabian und Svenja aufzupassen. Sie kommt aus Norddeutschland, ist Landwirtin und lebt seit zwei Jahren in Frankreich. Sie ist mir sympathisch und ich habe keine Bedenken, die Kinder in ihre Obhut zu geben. Nun ist die Reihe an mir. Der Pilot macht einen ziemlich dynamischen Eindruck und redet zunächst auf englisch mit mir. Er gibt mir einen Helm und nach kurzem Hin und Her habe ich Helm und Brille auf, das Visier heruntergeklappt. Ich setze mich auf dem Sozius, oder wie auch immer man diesen Platz bezeichnet, und lege den Beckengurt an.
Der Pilot zieht am Startseil und im Luftzug des hinten liegenden Propellers legt sich das Gras der Rollbahn. Wir hoppeln über die Graspiste zum Ende des Flugfeldes, drehen uns, der Pilot gibt Vollgas und bereits nach dreissig, vierzig Metern heben wir ab.
In grossen Spiralen steigen wir auf 1000 Meter über Grund, rund 1500 Meter über NN. Ich schlucke, die Ohren schaffen erfolgreich den Druckausgleich. Wir überfliegen Wälder und die Perspektive erscheint mir ungemein vertraut. Mit Luftbildern arbeite ich ja seit Jahren. In meiner rechten Hand halte ich die kleine Konica. Das Visier hindert mich daran, im richtigen Abstand durch den Sucher zu schauen und den Bildausschnitt festzulegen. "Es ist egal.", sage ich zu mir selber, niemand wird diese Fotos qualitativ beurteilen. Ich fühle, dass ich mit einer Hand den Rand des Sitzes umklammert habe, lasse los und entspanne mich. Ab und an drücke ich auf den Auslöser, geniesse den Flug. Ich sehe den Lac de Chalain, das Flüsschen Ain, die Dörfer ringsum.
Das Display des Höhenmessers steht bei 997 Meter über Grund, als der Pilot den Motor abstellt. Er zeigt mir die Städte in der Umgebung, das tiefe Türkis des Sees, die archäologischen Arbeiten. "C'est bon, n'est-ce pas?" Von ihm geht eine deutliche Begeisterung aus. Nur Windgeräusche umgeben uns, als wir in grossen Spiralen hinabgleiten. Sanft setzen wir auf dem Flugfeld auf und hoppeln die wenigen Meter zum Rand. Svenja kommt unter der Absperrung hindurch auf mich zu gelaufen, springt an mir hoch und umarmt mich. Fabian folgt etwas weniger stürmisch. Im allgemeinen Trubel sagt der Pilot zu der Frau etwas, was sie mir geben soll, was ich aber nicht recht verstehe. Wir reden noch etwas, dann bezahle ich, wir verabschieden uns und fahren zum Fluss.
Die langen Hosen, die ich zum Flug angezogen hatte, tausche ich wieder gegen meine knallbunten kurzen und dann waten wir alle drei im flachen Wasser des Ain. Junge Fische, der Form nach sind es Hechte, zischen im Wasser umher und Svenja will sie streicheln. Die Fischlein wollen nicht.
Auf dem Rückweg stellen wir fest, dass die Käserei bereits um 19.30 Uhr schliesst, wir unseren geliebten Comté nicht mehr bekommen. Aber wir haben ja noch den Einheitskäse La vache qui rit.
Svenja wird beim Abendessen quengelig. Sie möchte eine kalte Weisswurst und glaubt mir nicht, dass Weisswürste kalt nicht schmecken. Fabian macht sich derweil mit sichtlichem Appetit über die Reste des Comté her, den ich zuvor Svenja angeboten hatte, die aber auf Weisswurst bestanden hatte, die ihr nun nicht schmeckt und die sie lieber gegen Käse tauschen möchte. Ich schmiere mir gerade ein Brot mit Einheitskäse, da kommt die Frau vom Flugplatz und bringt eine weisse Rolle. Es ist eines ihrer Poster, das sie mir im Auftrag ihres Mannes, des Piloten, geben sollte, was sie aber am Flugplatz vergessen hatte. Ich bin angenehm überrascht und irgendwie berührt.
Mein Bundeswehr-Taschenmesser ist weg. Wahrscheinlich am Flugplatz verloren, als ich mir zum Fliegen eine lange Hose angezogen habe. Wir lassen also das Abendessen stehen und fahren wieder zur ULM-Basis. Fabian sucht auf dem Parkplatz, Svenja bleibt bei mir, wir suchen am Fluss. Das Messer wird nicht gefunden. Viel toller finde ich aber, dass Fabian die Suche am Parkplatz selbständig übernommen hat. Selbstbewusst und ohne Angst steht er auf einem grossen Kalksteinbrocken. Er will mir für den Rest des Urlaubs sein Messer zu leihen.
Aus einem richtigen Abendessen wird nichts mehr. Von der Rezeption hört man Applaus, eine Gruppe Jongleure tritt auf. Als "Clowns" waren sie angekündigt und von Clowns wollte Fabian zunächst nichts wissen. Jetzt strömt alles nach oben und die Kinder sind nicht zu halten. Ich lasse sie alleine ziehen, mit der Auflage, beisammen zu bleiben. Kaum habe ich die Reste des Abendessens verstaut, kommt Fabian mit klapperndem Schutzblech angebrettert. "Svenja ist weg!" Im Laufschritt renne ich zur Rezeption und finde auch gleich meine kleine Tochter. Die Kinderplätze an der Seite haben ihr wohl nicht zugesagt. Sie hat sich zwischen den Beinen der Zuschauer nach vorne durchgearbeitet, steht nun vor der ersten Reihe und schaut sich mit roten Bäckchen die Jongleurnummer mit brennenden Keulen und das Feuerspeien an.
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Dienstag, 3. August 1999
Nachts ist Wind aufgekommen und gegen Morgen hat es geregnet. Evis Zelt jedenfalls ist dicht und hat sich auch sonst bislang gut bewährt. Svenja wird erst gegen 8.30 Uhr wach und verlangt nach Frühstück, Fabian ist noch später dran. Es regnet nun nicht mehr, aber der Himmel ist grau. Der Renault-Bus der Campingplatzes fährt rund und über Megafon wird verkündet, dass um 10.30 Uhr für die Kinder ein Disney-Video gezeigt wird. Es gibt überhaupt einiges an Animation, fast wie wir es aus den grossen Ferienhotels kennen. Geführte Wanderungen, Ausflüge und sogar eine Exkursion zu einer Müllsortieranlage. Das Müllsortieren setzt sich in Frankreich durch. "Le Tri" nennt sich die Gesellschaft, die etwa unserem "Dualen System" entspricht.
Wir fahren wieder zum Auerochsenhof. Um 11.00 Uhr findet die Fütterung der Jungtiere statt. Svenja rührt die Milchpulvernahrung für die Kälber an, Fabian füttert mit Hingabe die Schweine. In seiner schlammverschmierten Latzhose mit Stiefeln und Futtereimer passt er haargenau in die Stallumgebung. Svenja kann sich von den kleinen Ziegen kaum losreissen, die mit ihr herumbalgen. Wir gehen nochmal zu den Grossrindern, aber es sind diesmal nur die schottischen Hochlandrinder zu sehen.
Nach dem Tageseis decken wir uns mit Proviant für unsere Kanutour ein und wechseln die Kleider, denn die Wolken haben sich verzogen und es ist heiss geworden. Wir fahren nach Pont de Poitte und werden mit einem Kleinbus samt Anhänger voller Boote zur Ablegestelle nach Chatillon gebracht. Nach etwa zwei Kilometern lande ich an und wir machen erst mal Mittagspause. Das Wasser ist voll von bis zu streichholzlangen Fischbabies, die an unseren Füssen herumknabbern. Sie ernähren sich wohl von den Schuppen, die die sonnengeschundene Haut abstösst. Svenja ist müde und kann sich kaum noch senkrecht halten. Der Schlafmangel der letzten Tage setzt ihr zu. Wir sehen zwei Ringelnattern, die sich geschickt durch das Wasser winden und paddeln problemlos weiter bis zum Endpunkt in Pont de Poitte. Svenja und Fabian möchten schwimmen. Ich montiere ihnen die Schwimmflügel an und ich gehe als erster ins Wasser. Sofort zieht mich die Strömung weg und ich entscheide, dass das Baden hier zu gefährlich ist, packe meine beiden angeschlammten Kinder ins Auto, wo Svenja sofort einschläft, und fahre zurück zum Campingplatz. Endlich stehen wir alle drei unter der Dusche und auch Svenja wird wieder munter. Der Pizzabäcker versorgt uns und gegen zehn Uhr liegen die Bälger in ihren Schlafsäcken.
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Mittwoch, 4. August 1999
Der Morgen ist trübe, kurze Schauer gehen nieder. Es ist unser letzter Urlaubstag vor der Abreise. Wir lassen unseren ursprünglichen Plan, zum Strand zu fahren, fallen und machen uns auf nach Clairvaux. Dort gibt es nahe an der Innenstadt einen grossen Parkplatz, hinter dem Parkplatz eine Wiese zum Picknicken, dahinter einen angelegten Sandstrand und dahinter einen See. Wir picknicken. Danach will ich die Innenstadt erkunden, aber es gibt nicht viel zu erkunden. Die Nationalstrasse geht mitten hindurch. Svenja ist müde und quengelig. Ein Karussell steht neben der Kirche, ein Schild hängt daran: "Fermé". Die Kinder klettern darauf herum und von Hand setze ich das Gefährt einige Runden in Gang. Sie sind begeistert, ein ganzes Karussel für sich zu haben. Bei mir setzt sich allmählich der Gedanke durch, dass mein Tun den Unbill des Karussellbesitzers hervorrufen könnte und wir verlassen den Platz.
Ich fahre auf der Nationalstrasse in Richtung Genf und dann zu den Cascades de l'Hérisson. Im Örtchen La Fromagerie, wo wir bereits einige Male geparkt hatten, um zu den Wasserfällen zu wandern, besuchen wir den Holzwarenladen "La Boisellerie de l'Hérisson". Es ist atemberaubend. Der Laden ist voller Menschen, und es ist schwül-warm, alle wuseln durcheinander. Hier finden sich handwerklich solide gefertigte Gebrauchsgegenstände aus Holz wie Holzbestecke, Welgerhölzer, Eierbecher, Garderobenhaken und Holzspielzeuge genauso wie der übliche Andenkenkitsch. Ich kaufe ein Käsebrett in Form eines Igels, ein Salatbesteck und ein Welgerholz. Die Kinder finden nichts, was ihnen gefällt.
Ein Stück weiter an einem Ausflugslokal essen wir Crêpes. Im angegliederten Souvenirladen erstehe ich für Svenja ein T-Shirt mit aufgedruckten Rinderrassen. Fabian hätte gerne eines mit lauter Bisons, aber die gibt es nur in Grössen für Erwachsene. Auch am Auerochsenhof, der das gleiche Sortiment führt, die gleiche Antwort. Erwachsenenmotive gibt es in Erwachsenengrössen, Kindermotive in Kindergrössen. Fabian bittet mich, im Souvenirladen von Doucier nach einem Feriengeschenk zu suchen. Wir fahren hin. Svenja ist wieder im Auto eingeschlafen, daher parke ich so, dass ich die Eingangstüre des Geschäftes im Auge habe und schicke Fabian los. Nach einigen Minuten kommt er zurück. Ein Bauernhofset oder ein vierrädriges Motorrad, das könnte ihm gefallen. Ich lasse Fabian bei seiner schlafenden Schwester, stelle das Funkgerät im Auto an, nehme ein Handgerät und gehe selbst in den Laden. Die Beschreibungen sind exakt, das Spassgefährt wechselt den Besitzer.
Zurück auf dem Campingplatz beginne ich mit den ersten Vorbereitungen der Abreise, dann fahre ich mit dem Rad zum ULM Flugplatz. Die Kinder spielen derweil am Zelt. Ich will den Leuten den Bericht zuschicken, den ich zwei Tage zuvor über das ULM-Fliegen geschrieben habe. Die Adresse fehlt mir. Ich treffe die Frau wieder, sie heisst Silke Farrugia und sie gibt mir ihre Anschrift. Der Pilot sitzt diesmal am Steuer eines Renault und vollführt ein temperamentvolles Wendemanöver. "In der Lauft traue ich ihm mehr als auf der Strasse.", sagt Silke und ich glaube ihr sofort. Nach einer guten halben Stunde komme ich zum Campingplatz zurück. Die Kinder sitzen hintereinander im Auto, Fabian vorne, Svenja hinten. Der Peugeot ist zum ULM-Flugzeug geworden und der Pilot hat gerade einen Funkspruch abgesetzt. "Papa, wann kommst Du?"
Wir fahren zum Abendessen ins Pic Vert. Fabian schwärmt von einem Riesenteller mit grünem Salat. Wir bestellen Menüs, aber nach dem ersten Gang passiert erst einmal nichts mehr. Eine dreiviertel Stunde lang. Das war zunächst auch ganz in Ordnung so, denn wir sitzen im Freien, in einem der schönsten Gartenlokale, in dem ich je war. Es gibt Spielgeräte für die Kinder, von Kalksteinen eingefasste Hügelbeete, eine Pergola und ringsum eine wunderbare Blumenpracht. Wir versuchen, ins Bewusstsein der Kellnerin zu treten. Vergebens. Sie schaut konsequent auf ihr Tablett. Dann bemerkt man den Irrtum, entschuldigt sich, aber das Essen ist so hervorragend, dass uns allen die Verzögerung nicht sonderlich stört.
Zurück am Zelt fällt mir Fabian um den Hals und sagt, das sei der schönste Urlaubstag gewesen. Svenja, auf die Frage, was ihr denn heute am besten gefallen habe, antwortet, es habe ihr überhaupt nicht gefallen, dass ich nicht das gemacht habe, was sie wollte. Beide Kinder sind trotzdem zufrieden, ich bringe sie zu Luftmatratze, schmuse mit ihnen und schreibe die Erlebnisse des Tages auf.
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Donnerstag, 5. August 1999
Unser Abreisetag. Es regnet. Gegen halb neun krieche ich aus dem Schlafsack, bringe Svenja zum Klo und kümmere mich um das Frühstück. Der Regen hört auf und ich versuche, die vielen Dinge halbwegs strukturiert im Peugeot 205 unterzubringen. Zuletzt das Zelt. Ich bürste die Kleckse aus, die uns die Vögel darauf hinterlassen haben. Es trocknet schlecht, die Luft ist feucht-warm. Unsere Nachbarn, die Niederländer mit dem kleinen Bim verabschieden sich. Sie fahren zu einem Fest und werden erst zurück sein, wenn wir abgereist sind. Svenja hat gerne mit dem ein Jahr alten Bim gespielt, der hier in der letzten Woche Laufen gelernt hat.
Die Packerei zieht sich in die Länge und das schwere Baumwollzelt ist für mich nur mit Mühe handhabbar. Als ich es vom Innenzelt abhebe, komme ich mir vor wie die Grille, die sich eben noch darunter verfangen hatte. Irgendwie rolle ich es ein, verstaue es auf dem Rücksitz. Die Kinder spülen mit Hingabe die Häringe. Ständig wollen sie etwas tun und mithelfen und ständig streiten sie sich, wer die nächste, wesentliche Aufgabe übernehmen darf. Gegen 13.00 Uhr ist das Auto bepackt und wir sind reisebereit.
In Doucier kaufen wir fünf dicke Scheiben Comté für uns und die Daheimgebliebenen, Svenjas geliebte Weisswürste und ein Baguette. Sofort nach Hause soll es aber nicht gehen. Am Strand will Fabian sein neues, vierrädriges Motorrad im Sand testen, Svenja mit mir "Fischkind" spielen und ich möchte noch einmal genüsslich weit auf den See hinausschwimmen. Letzteres muss ausfallen. Ein Schauer geht nieder und die Friterie hat an diesem Tag wohl wegen der wenigen Besucher geschlossen. Wir versorgen uns selbst und ich nehme Kurs auf Arbois.
In der Innenstadt von Arbois möchte ich mein Feriensouvenir kaufen, in der typischen Flasche. Um den zentralen Platz, der vollständig mit Girlanden überspannt ist, scharen sich die Repräsentanzen der Kellereien, deren Namen man in der gesamten Region auf Häusergiebeln lesen kann. An der Kirche parke ich das Auto, Svenja ist eingeschlafen. Mit dem Handfunkgerät gehe ich in die Arkaden und schaue mir die Weinläden an. Das Wort "Dégustation" verfolgt mich auf Schritt und Tritt. Zu einer Weinprobe fehlt mir allerdings die Musse. Es liegen noch 400 Km Autofahrt vor mir und die Kinder möchte ich auch nicht allzu lange warten lassen. Ein Mann spricht mich vor einem Weinladen an. Es gibt dort Kartons mit lauter verschiedenen Sorten zu kaufen. Er lädt mich ein, in den Laden zu kommen um den Wein zunächst einmal zu probieren. Ich verkoste drei Sorten, entscheide mich für einen herb-erdigen Weisswein, da vermeldet Fabian über Funk, dass Svenja jetzt wach sei und Durst habe. "Sont des Anglais, vos enfants?" Merkwürdigerweise wurden wir in diesen Ferien schon einige Male für Engländer gehalten. Mit der Weinkiste und einer Broschüre über den Weinbau im Jura trabe ich zum Auto zurück.
Etwa zwanzig Kilometer weiter, südlich Quingey steht ein weisser Peugeot 309 mit offener Motorhaube und deutschem Kennzeichen in Gegenrichtung am Fahrbahnrand. Ein Mann und eine Frau stehen daneben und schauen uns nach. Ich wende, fahre auf den Seitenstreifen und frage, ob sie Hilfe brauchen. Der Mann erzählt mir mit ostdeutschem Zungenschlag, die Lichtmaschine sei defekt gewesen und für die Reparatur habe man ihnen 600 Francs abgeknöpft. Nun sei die Reisekasse leer und es fehle das Geld für Benzin, um nach Hause zu fahren. Ich biete den beiden an, ihr Auto auf meine Kosten in Quingey zu betanken. Sie antworten nicht und ich verlasse fluchtartig den Platz.
In Vesoul ist es Zeit zum Abendessen. Ich stelle die Kinder vor die Alternative, Croissants zu kaufen oder zu McDonald zu gehen. Die Antwort ist eindeutig. An der Theke ordere ich auf Französisch zwei Kindermenüs, eins mit Hacksteak, eines mit Huhn und die Frau wiederholt betont freundlich: "Deux happy meals, Chicken Mc Nuggets et Hamburger." Die Getränke in den verdeckelten Pappbechern sind durch Unmassen von Eis bis kurz über dem Gefrierpunkt gekühlt. Bestecke gibt es nicht, auf Nachfragen zeigt man mir den Serviettenspender. Mit dem Taschenmesser schneide ich aus meiner Pommes frites Tüte eine Art Löffel und schaufele das Eis in den Deckel der Styroporverpackung des Hamburgers. Die Streuverluste wische ich mit reichlich Servietten vom Tisch aber Cola und Limonade bleiben zu kalt. Fabian leert sein Getränk ohne sichtbaren Schaden. Svenja und ich lassen die Hälfte stehen. Sie ist über die Mini-Barbie enttäuscht, die in ihrer Tüte war. Fabian hat ein Rennauto mit Schwungradantrieb, das er begeistert über den Tisch schiebt. Uns ist kalt und beim Verlassen des klimatisierten Lokals merke ich erst, wie angenehm die schwüle Wärme draussen sein kann. Die Kinder wollen noch auf den Spielplatz. Sollen sie. Es ist zwar schon recht spät, aber im Auto still sitzen müssen sie noch lange genug. Das Spielgerät, eine Kombination aus Rutschbahn, Bällemeer und Labyrint ist genial. Svenja wuselt mit Hingabe in den Bällen herum, Fabian möchte von mir wissen, was man hierzulande sagt um zu erfahren, ob die Rutschbahn frei ist. Laut und deutlich höre ich ihn in der Röhre rufen: "C'est libre?" Niemand antwortet ihm. Mit zwei zufriedenen Kindern an Bord fahre ich weiter. Kurz vor Luxeuil bekomme ich Magenkrämpfe und Sekunden später klagt Svenja über Bauchweh.
Um 22.45 Uhr kommen wir zuhause an. Die Kinder sind munter, keines ist unterwegs eingeschlafen. Gegen Mitternacht gehen wir zu Bett.
zurück zum AnfangFreitag, 6. August 1999
Wir schlafen aus. Gegen neun Uhr gehe ich zu den Kindern und frage, was sie frühstücken wollen. Die einschlägigen Produkte sind nicht im Haus und ich schicke sie zu Lidl. Es ist das erste Mal, dass Fabian und Svenja alleine einkaufen gehen. Etwa eine halbe Stunde später kommen sie zurück, der Einkauf stimmt, das Wechselgeld auch.
Das Zelt breite ich im Garten über der Schaukel aus. In der prallen Sonne trochnet es im Nu. Die gebürsteten Stellen sprühe ich mit Imprägnierspray ein. Der Nachbar hilft beim Zusammenlegen. Zu zweit geht es fast mühelos.
Samstag, 7. August 1999 bis Dienstag, 10. August 1999
Ich bekomme Halsweh und Fieber, die Angina kehrt zurück. Am Sonntag-Morgen wird Svenja von ihrer Mama zum Reiterferienlager gebracht. Sie wünscht sich schon lange, einmal ohne Mama und ohne Papa wegzufahren. Abends lässt sie anrufen, sie will nicht über Nacht bleiben und die Mama holt sie ab. Den Montag und Dienstag verbringen die beiden im Ferienlager, sie übernachten zuhause, im eigenen Bett. Am Dienstag legen sie die Prüfung für das "Kleine Hufeisen" ab, kommen stolz jeder mit Urkunde und Aufnäher nach Hause.
Montag Nachmittag geht ein schweres Unwetter nieder. In der Gemeinde sind über 100 Keller überflutet und auch bei uns ist etwas Abwasser durch die Kanalisation eingedrungen. In der Peterstrasse wurde von den Wassermassen die Wand eines Wohnhauses eingedrückt, eine komplette Wohnung verwüstet.
zurück zum AnfangMittwoch, 11. August 1999
Heute ist der Tag der Sonnenfinsternis. Das Ereignis wird in den Medien seit Wochen behandelt. Apoteken und Drogerien verkaufen Spezialbrillen aus Pappe mit metallbedampften Folien als Sonnenschutzfilter. Seit einer Woche sind sie nahezu ausverkauft, wir konnten gerade noch welche ergattern. In vielen Städten in der 110 Km breiten Zone, in der man die Totalität beobachten kann, finden Sonnenfeste und "Sofi-Parties" statt. Da ich wegen der Angina noch krank geschrieben bin, bleiben die Kinder bei mir zuhause.
Die Stimmung hat etwas von Heiligabend. Wir warten. Das Wetter ist trübe, ab und zu zeigt sich eine Wolkenlücke. Fabian spielt am Computer, Svenja kramt in der Kiste mit dem alten Spielzeug. Sie möchte auch gerne mit der Maus klicken, aber Fabian beharrt darauf, seine Partie zu Ende zu spielen.
Derweil habe ich das Funkgerät eingeschaltet und höre in das 2-Meter Band. Es herrscht ungewöhnlicher Betrieb, nahezu alle Relaisstationen sind belegt. Viele weit angereiste Mobilisten sind zu hören und ich erfahre, wie es in der Region zugeht: Auf Autobahnen und Bundesstrassen ist der Verkehr vielfach zum Erliegen gekommen. Die Parkplätze sind von Lastwagen überfüllt, die bis zum Nachmittag warten müssen. In Frankreich und Luxemburg gilt wegen der Sonnenfinsternis ein LKW-Fahrverbot. Viele Familien aus Teilen Deutschlands, wo die totale Sonnenfinsternis nicht zu sehen ist, sind hierher angereist und viele zelten irgendwo neben der Strasse. Etliche wollen die Sonnenfinsternis fotografieren, haben ihre Ausrüstung aufgebaut und tauschen Erfahrungen über Filter, Brennweiten und Einstellwerte. Und immer wieder die Frage: "Wie wird die Bewölkung sein? Wo zeigt sich eine Wolkenlücke?"
Kurz nach elf Uhr beginnt das Himmelsschauspiel. Der Mond schiebt sich von rechts oben kommend vor sie Sonne. Fabian beendet sofort sein Spiel und geht mit mir in den Garten hinunter. Wir schauen durch unsere Brillen, ohne die wir wirklich keine Chance gehabt hätten, unbeschadet in die Sonne zu blicken.
Georg Kräber
Svenja kommt nicht nach. Ich gehe sie holen und sie stellt sich schmollend in eine Kellerecke. Ein wenig später kommt sie heraus und ergattert einen Blick auf die etwa zur Hälfte bedeckte Sonne, da verdichtet sich die Bewölkung und ab etwa 11.45 Uhr geht ein Platzregen nieder. Fabian singt seine Sonnenlieder:
Sonne, liebe Sonne, komm aus dem Versteck
liebe, liebe Sonne, schieb' die Wolken weg
alle bunten Blumen schaun zu Dir hinauf
liebe, liebe Sonne, schliess' den Himmel auf!
Liebe Sonne schein' herunter und zeig' Dein Gesicht,
denn den Regen, denn den Regen, den wollen wir nicht!
Dann bekämpft er den Regen von der Kellertüre aus durch heftige Schüsse aus seiner Saurier-Wasserpistole. Als der Regen nach etwa einer halben Stunde nachlässt, liegt eine seltsame Dämmerung über dem Land. Es ist ungemein still. Keine Vögel singen, kein Auto fährt. Auch die Stimmen aus dem Funkgerät sind verstummt. Ich will nach oben, wo man einen weiten Blick über das Land hat. Dort rücke ich eine Truhe unter das Dachfenster, hoch genug, damit die Kinder hinausschauen aber nicht hinausfallen können. Svenja klettert darauf, Fabian will die Dunkelheit nicht. Er will im ganzen Haus die Lampen einschalten, am Computer spielen und mit der Mama telefonieren.
Gegen 12.30 Uhr beginnt die Totalität. Die Minutennacht. In St. Ingbert und am Galgenbergturm steigen einzelne Feuerwerksraketen in den Himmel. Dann wird es wieder heller. Die Dachfenster der Häuser bilden helle, reflektierende Flecken in der ansonsten grau-blauen Landschaft. Fabian klettert auf die Truhe und die beiden schauen sich den wiederkehrenden Tag an. Ich mache einige Fotos und wir gehen allesamt hinunter auf die Strasse, wo bereits einige Nachbarn stehen.
Familie Gehring
Fabian hat seine Aufregung von eben vergessen und spielt mit dem Nachbarjungen Dominik. Durch die Lücken der aufreissenden Wolkendecke können wir beobachten, wie der Mond nach links-unten die Sonne wieder freigibt.
Nach soviel Sonnenfinsternis verspüren wir Hunger. Der Teller mit Wurstbrötchen, den ich am Morgen auf den Küchentisch gestellt habe, ist kaum angetastet. Ich erhitze die Riesendose Ravioli, die wir aus dem Urlaub mitgebracht haben. Als Nachtisch gibt es Eis am Stiel, danach Waschlappen und frische Kleider.
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Donnerstag, 12. August 1999, Fabians erster Schultag
Der Tag beginnt für mich stressig. Ich verschlafe. Dann ärgere ich mich darüber, dass mich niemand geweckt hat. Im Galopp wasche ich mich und ziehe mich an.
Wir kommen zu spät in die Kirche. Die Schulneulinge haben bereits im Altarraum Aufstellung genommen. Pastor Klein und Pfarrer Schäfer gestalten den Gottesdienst. Es geht um den Weg, der vor den Kindern liegt und symbolisch werden im Mittelgang der Kirche Blumen und "Steine" aus Papier ausgestreut. Fabian ist ängstlich und will nicht nach vorne. Er sitzt auf Mamas Schoss. Seine Kindergartenleiterin kommt und holt ihn ab, vielleicht sollte ich auch sagen, sie greift ihn ab. Einige Meter zappelt er noch unwillig, dann reiht er sich bei den anderen Kindern ein und wirkt überhaupt nicht mehr ängstlich. Sie singen das Kinder-Mutmachlied
Wenn einer sagt: "Ich mag Dich, Du, ich find Dich ehrlich gut."
Dann krieg ich eine Gänsehaut und auch ein bisschen Mut.
Wenn einer sagt: "Ich brauch Dich, Du, ich schaff es nicht allein."
Dann kribbelt es in meinem Bauch, ich fühl mich nicht mehr klein.
Wenn einer sagt: "Komm geh mit mir, zusammen sind wir was."
Dann werd ich rot weil ich mich freu, dann macht das Leben Spass.
Gott sagt zu Dir: "Ich hab Dich lieb und wär so gern Dein Freund."
Und das was Du allein nicht schaffst, das schaffen wir vereint.
Nach dem Gottesdienst fahren wir zur Schule. Ab und zu mache ich ein Foto. Svenja ist irgendwie eingeschnappt. Demonstrativ stellt sie sich mir vor die Linse. Auf dem Schulhof herrscht ein ziemliches Gewusele. Grosseltern, Elter, Kinder, Fotografen, Lehrerinnen, die Damen und Herren des Fördervereins, alle laufen durcheinander. Die Lehrerinnen versuchen, ihre jeweiligen Schulkinder samt Eltern um sich zu scharen und immer wieder sind ein paar Versprengte auf der Suche nach der richtigen Menschentraube. Endlich sind alle in den Klassen.
Die Kinder sitzen zu zweit an Tischen, die locker im Raum gruppiert sind. Die Einrichtung des Klassensaales strahlt etwas sympathisches aus. Die Lehrerin, Frau Müller, ebenfalls. Sie ist - schätzungsweise - Mitte fünfzig und in ihrem dunkelblauen Kostüm und der zeitlosen Haarpracht sieht sie genauso aus, wie man sich eine sympathische Grundschullehrerin Mitte fünfzig vorstellt. Sie gibt noch einige organisatorische Hinweise, dann bleiben die Schulkinder mit Frau Müller im Klassensaal, alle anderen müssen draussen warten. Die allererste Schulstunde.
Auf dem Schulhof reicht der Förderverein belegte Brötchen, Getränke und Beitrittsformulare. Viele Eltern erzählen von Ihrem ersten Schultag. "Wir wurden von den Eltern an der Schule abgeliefert, hatten zwei Schulstunden und konnten anschliessend alleine nach Hause gehen." , meinte ein Mann und eine Frau sagte: "Ich erinnere mich noch genau, wir mussten am ersten Tag eine Schultüte malen."
Die Schule ist aus, die Kinder mit ihren Schultüten und bunten "Scout"-Ranzen werden immer wieder fotografiert und mit Videokameras aufgezeichnet. Ein Fotoprofi ist aus dem Allgäu angereist und bietet Aufnahmen neben einer kleinen Schultafel mit der Aufschrift "Mein erster Schultag 1999" und Mecki-Figuren, Kindergrösse 92. Seine Kamera und er dürften zusammen 100 Jahre alt sein. Zeitlosigkeit.
Wir fahren nach Hause. Svenja und Fabian dürfen jetzt die Schultüte plündern. Ich fahre zur Arbeit.
Abends sehe ich Fabians Hausaufgabe: Er hat auf dem ausgeteilten Arbeitsblatt die Schultüte bunt angemalt, mit einem kleinen Zebra und einer Palme verziert. Es ist eindeutig seine Schultüte. Darüber das Bild eines Formel-1 Rennautos, genau wie das Puzzle, das in seiner Tüte war.
Ende
Nachwort
Dieses Heft habe ich in der Ich-Form geschrieben. Wenn auch die beiden Kinder im Mittelpunkt stehen, so ist es doch meine persönliche Sichtweise. Fabian, Svenja und die übrigen Leserinnen und Leser mögen im Einzelfall durchaus die Dinge anders sehen. Wenn sie - vielleicht Jahre danach - sich daran erinnern und darüber diskutieren, so ist mein Ziel erreicht.
GPS-Peilungen
Ort |
Länge |
Breite |
||
Doucier Badeplatz |
0054645.7 |
E |
463857.4 |
N |
Doucier Ferme de l'Aurochs |
0054916.9 |
E |
463719.0 |
N |
Doucier Pont sur l'Ain |
0054424.2 |
E |
463917.5 |
N |
La Fromagerie |
0055249.1 |
E |
463703.5 |
N |
Tour am 30. Juli 1999
Tour am 31. Juli 1999
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